Leo Ernst – Zwischen Traum und Realität

Leo Ernst ist Design-Professor in Berlin und ein großer Freund Griechenlands, aber vor allem ist er ein Träumer. Träume nehmen einen großen Teil seines Lebens ein, aber dass eben diese Träume in Wolfgang Tolks Roman Fisch mit Heraklit, erschienen 2023 im Verlag der Griechenland Zeitung, ihm dabei helfen werden, den schwersten Schicksalsschlag seines Lebens zu verarbeiten, hätte auch er sich nicht vorstellen können.
von Verena Sch
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Das Schicksal

In Griechenland nahm Leo Ernsts Leben eine schicksalhafte Wendung. Nach einem Streit mit ihm verschwand seine Frau spurlos. Man nahm an, dass sie die Klippen hinabstürze und im Meer ertrank. Genau hat man es aber nicht herausgefunden und so bleib sie verschollen. Der einzige, der es hätte wissen können, war Leo Ernst selbst, aber er erinnerte sich nicht mehr an das Geschehen. Und so blieben ihm nur noch die Zweifel, ob sie tragisch verunfallt war, oder ob er sie gar hinabgestoßen hatte. Über diese Ungewissheit zerbrach seine Familie und Leo Ernst hat seit dem nichts mehr von seinen Kindern gehört. Bis zu dem Tag, an dem sein Telefon klingelt und sein Leben eine erneute Wendung bekommt.

Ein Neuanfang

Das Telefon klingelt und am Ende ist … Nora. Erst weiß Leo Ernst nicht, wen er da am Apparat hat, aber dann ist seine Freude groß : Seine Enkeltochter, Nora, aus den Vereinigten Staaten, möchte nach all den Jahren der Ungewissheit endlich ihren Opa kennenlernen und auch die genauen Umstände erfahren, wie es zu dem Bruch zwischen ihrer Mutter Katharina und ihrem Opa gekommen ist. Und nicht nur das, sie möchte ihn auch in Berlin besuchen. Die erste Begegnung zwischen den beiden ist zwar noch etwas unbeholfen, aber Nora fasst sehr schnell Vertrauen zu ihrem Pappous, sodass Leo Ernst vorschlägt, mit ihr nach Griechenland zu fahren. Zurück an den Ort, an dem alles begann und wo auch er hofft, etwas Licht ins Dunkel seiner Erinnerungen zu bringen.
Die beiden machen sich also auf, erst nach Venedig und dann in das Haus in Griechenland. Dort angekommen, besichtigen beide einige archäologische Ausgrabungsstätten und auch Schauplätze der griechischen Mythologie. So steigen sie in die Unterwelt des Hades ab und besichtigen auch das Orakel von Delphi. Immer wieder vermischen sich für Leo Traum und Wirklichkeit und er hat mehr als einmal den Eindruck, die mythischen Personen der griechischen Antike selbst sprechen zu hören. Seine Gespräche mit Nora, in denen der mir ihr über das Leben und die Fragen nach Wahrheit und Lüge philosophiert und sie manches Mal sogar regelrecht erschlägt, tun ihr übriges, dass die Grenzen zwischen Realität und Traum zu verwischen scheinen. Der Schleier seiner Erinnerungen an das damals Geschehene hebt sich aber leider nicht und so isoliert sich Leo Ernst nach ihrer Rückkehr zuhause immer mehr. Etwas Halt findet er in seiner Geliebten Elea. Hoffnung auf wieder bessere Zeiten kommt auf, als die lang herbeigesehnten Aussöhnung mit seinen Kindern ansteht, die in Athen stattfinden soll. Dort angekommen erfüllt sich für Leo Ernst allerdings die Aufforderung des Orakels von Dephi ‚γνῶθι σεαυτόν‚, „Erkenne Dich selbst“. Leo Ernst wird klar, was wirklich die vorangegangen Wochen vor sich ging und er kollabiert.

Zwischen Traum und Realität

In seinem Roman Fisch mit Heraklit widmet sich Autor Wolfgang Tolk nicht nur den Erlebnissen Leo Ernsts, sondern auch dessen Träume, die gleichberechtigt die Hälfte des Romans ausmachen. In ihnen spürt Leo Ernst seiner Vergangenheit nach, kontempliert über die Mysterien des Lebens und stellt sich die Frage nach dem Wechselspiel von Wahrheit und Lüge. Diese Zwiegespräche mit sich selbst gerade an den historischen Kultstätten lassen vorsichtig erahnen, wie weit die Grenzen zwischen Realität und Traum im Verlauf des Romans immer durchlässiger werden. Und die Erkenntnis, die Leo Ernst im Wahrsten Sinne des Wortes wie der Schlag trifft, kommt für den Leser so nicht unvorbereitet. Auch die Grenzen zwischen den realen Personen und den klassischen oder mythischen Personen verwischen. Leo Ernst lauscht den Weissagungen der Pythia, er trifft sich mit Heraklit, in dem dem Roman namensgebenden Kapitel, zum Essen und man bekommt den Eindruck, diese Personen seien ins Reich der Lebenden zurückgekehrt, während zum Beispiel Leo Ernsts Ehefrau immer unwirklicher wird und beinahe in das Reich der Mythen übergeht. Leo Ernst erinnert sich nicht nur nicht, was damals genau geschehen ist, während des ganzen Romans wird über sie nur als B.M. gesprochen, während über Leo Ernst hingegen fast durchgehend mit Vor und Zunamen gesprochen wird. Mit dem Verlust des Namens, verblasst auch auch die Person selbst. Leo Ernst wirkt zwar durch die Verwendung seines vollen Namens sehr in der Wirklichkeit verankert, aber dem ist, wie sich im Verlauf der Geschichte zeigt eben nicht so. So bleibt es nicht aus, dass Leo Erst mit der Frage zurückbleibt, was wahr und was unwahr ist.

Der Leser begleitet Leo Ernst in der zauberhaften Erzählung Fisch mit Heraklit dabei, einen tragischen Schicksalsschlag zu verarbeiten und taucht dabei auch in Leo Ernsts intime Traumwelt ein. Hier verquicken sich Realität, Mythen, Träume und Spiritualität zu einem faszinierenden Kaleidoskop, in dem sich allerdings auch der drohenden Zusammenbruch Leo Ernsts ankündigt, den er aber mit neuer Zuversicht hinter sich lassen kann. Ein faszinierendes und poetisches Werk, das den Leser berühren wird.

Herausgeber ‏ : ‎ Verlag der Griechenland Zeitung – Hellasproducts GmbH; 1. Edition (19. Mai 2023)
Sprache ‏ : ‎ Deutsch
Broschiert ‏ : ‎ 184 Seiten
ISBN-10 ‏ : ‎ 3990210483
ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3990210482
Preis : 19,80 €

+++ Ich bedanke mich bei dem Griechenland Verlag für das Rezensionsexemplar +++

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